Veranstaltungsbericht: KI-Innovationstag Zofingen (CH)

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Zwischen Denkwerkstatt und Digitaler Zukunft - ein Tag mit überraschenden Einsichten

„KI existiert gar nicht!“

So Remo Reginold in seinem Eingangsstatement. Eine überraschende Hypothese, wo wir doch alle genau wegen dieser KI hier zusammengekommen sind.

3. April 2025 – Ich befinde mich im schönen Zofingen unweit von Olten an der Aare. Ein sehr schönes Ambiente herrschte im Rathaus, wo in geschichtsträchtigen Räumen über die digitale Zukunft diskutiert wurde. Wie bei sehr vielen Veranstaltungen in diesen Formaten, stehen die meisten Teilnehmenden aus KMU vor der Aufgabe, sich über den Einsatz von KI Gedanken zu machen. Dabei geht es um Motivation und Sicherheit bei der Planung und im Umgang mit KI, um Einsatzfelder und Tools, aber letztlich auch um AI Safety – und vor allem um den Erfahrungsaustausch.

Veranstaltet vom Swiss Institute for Global Affairs und unterstützt von der Wirtschaftsförderung Oftringen Rothrist Zofingen (Dr. Adrian Borer), konnte Dr. Urs Vögeli rund 35 Gäste zum „KI Innovationstag“ willkommen heißen. Statt Grundlagenpräsentationen im Plenum zu lauschen, wurde in einzelnen Workshops zu Spezialthemen gearbeitet bzw. diskutiert.

Das Swiss Institut for Global Affairs (SIGA) versteht sich als Think Tank zu geo- und sicherheitspolitischen Themen und betreibt, unterstützt und fördert interdisziplinäre Forschung.

Ein Selbstversuch mit VirtualSpeech

Mit VR-Brille bestückt konnte ich den Umgang mit VirtualSpeech, einem immersiven Trainingstool zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeiten, ausprobieren. VirtualSpeech ist ein digitales Trainingssystem zur Entwicklung kommunikativer Kompetenzen in beruflichen Kontexten. Die Plattform kombiniert realitätsnahe VR-Umgebungen mit KI-gestütztem Feedback und ChatGPT-integrierten Avataren. Sie wird unter anderem zur Schulung von Präsentations-, Führungs- und Verkaufssituationen eingesetzt. Nutzerinnen und Nutzer können in über 50 virtuellen Szenarien verschiedene Kommunikationssituationen risikofrei erproben.

Im Selbstversuch wirklich sehr ansprechend. Einige Module sind zwar bisher nur auf Englisch verfügbar. Dennoch sind die Einarbeitung und die Steuerung sehr intuitiv – für Gamer vermutlich selbstverständlich. Verschiedenste Situationen lassen sich auswählen und der Nutzer kann recht praxisnah seine rhetorischen Fähigkeiten in Einzel oder Gruppensituationen ausleben. Das Tool überwacht während der Übungen Stimme, Sprache, Augenkontakte, Körperbewegungen und liefert zum Schluss eine detaillierte Auswertung. Leider erlaubt das Tool während des Dialogs mit den Avataren keine Unterbrechungen oder Kommentare seitens des Probanden (wohl aber der Avatare). Das ist noch nicht ganz fair gelöst.

Der etwas andere Blick auf die KI

Remo, er promovierte in Philosophie, diskutierte in seinem Workshop den Rahmen, in dem wir derzeit mit KI in Berührung kommen, wie wir mit KI umgehen – und warum KI nicht existiert.

An seiner Seite Hannes Thurnherr, der bestätigte, dass der Hype um KI nicht durch die rasante technologische Entwicklung entfacht würde. In Bezug auf die Programmierung, die Software und Algorithmen, hat sich im Grundsatz in den letzten Jahren wenig Aufregendes getan. Auch wenn es bei den „Nerds“ natürlich immer wieder um spannende Details geht.

Getrieben wird die Verbreitung im Wesentlichen durch hervorragendes Marketing der großen Player und der immensen Geschäftspotenziale (die 5 Größten kommen allesamt aus USA: OpenAI, Google, Amazon, Microsoft, Meta). Interessant, wie DeepSeek aus China als „Quereinsteiger“ versucht, diese Phalanx auf Basis von OpenSource zu durchbrechen.

Vor allem wurden Begriffe und Definitionen in den Gesamtkontext eingeordnet. Z. B. die sich über die letzten Jahrzehnte immer weiterentwickelte Definition eines „Artificial Intelligence System“ der OECD, um die erweiterten Fähigkeiten der Technologie zu berücksichtigen.

Oder auch die Differenzierung in eine „Enge KI“ und eine „Generelle KI“ (Artificial General Intelligence, AGI). Erstere programmiert, beaufsichtigt, vorbelastet („biased“) und in den begrenzten Anwendungsfeldern (wie den LLMs) im Kern deduktiv, in erweiterten Formen aber durchaus mit induktiven Elementen. Spannend wird es natürlich bei der Kombination von deduktiven und induktiven Strukturen, der Kopplung kognitiver und neuronaler „Denk“-Maschinen. Der Weg zur AGI führt allerdings noch deutlich weiter, wurde hier aber nur oberflächlich gestreift – noch leben wir in der Welt der „Engen KI“.

Die KI wird zu sehr mit menschlichen Attributen versehen („vermenschlicht“), so Remo. Das birgt die Gefahr, sie als Subjekt in unseren Alltag zu integrieren. Aber am Ende haben wir es mit technischen Objekten zu tun, die bestimmte Leistungsmerkmale aufweisen, die durch programmierte Algorithmen zu – wohlgemerkt – beeindruckenden Ergebnissen gelangen. Wir sollten sie auch als solche betrachten, eine Art Black Box, die auf einen Input einen Output generiert – entsprechend ihres „Konstruktionsplans“. Remos Aussage „KI gibt es gar nicht“ ist im Kontext dieser Sicht auf eine „Enge KI“ einzuordnen.

Unter der Überschrift „Agents: Actions, not just Answers“ gingen Remo und Hannes abschließend auf KI-Agenten und deren Einsatzmöglichkeiten ein. Vor der Einführung empfehlen sie eine sehr bewusste Vorbereitung (Was sind meine Workflows? Was möchte ich automatisieren? Wie gut sind die aktuellen Systeme?). Insbesondere ein Punkt fiel mir auf, der oft stark vernachlässigt wird: Was sind meine „Verlässlichkeits-Schmerzgrenzen“, wie viel Unzuverlässigkeit bin ich gewillt, in Kauf zu nehmen? Extrem wichtig und meist nicht einfach zu lösen – denn jeder muss hier sein eigenes Set an Qualitätskriterien festlegen, welches messbare und reproduzierbare Indikatoren liefert.

Podiumsdiskussion & Food for thought

Erneut spannend wurde es am Ende in der Podiumsdiskussion, die sich den aggregierten Fragen des Publikums widmete.

Bildung ist sehr wichtig – aber den Lehrer im klassischen Sinne braucht‘s nicht mehr, so Marco Jakob, Geschäftsleitung vom Lernbetriebsverbund YOLU. Ausbildung wird sich immer weniger an Faktenwissen orientieren, aber der Umgang mit den zur Verfügung stehenden Technologien rückt in den Mittelpunkt. Nicht nur die Schule an sich muss sich anpassen, sondern das Bildungssystem als Ganzes, um KI-Kompetenz in die Schulen zu bringen.

Ob der Aufwand für die Überprüfung der Ergebnisse von KI nicht die Vorteile wieder zunichtemache, wollten einige Teilnehmende wissen. Auch wenn LLMs immer mal wieder Fehler machen oder ungenaue Resultate liefern, erreichen sie in Relation zu Masse und Geschwindigkeit eine enorme Präzision. Entsprechend müssen die Methoden zur Qualitätssicherung weiterentwickelt und angepasst werden.

Eine spannende Frage stellte Magdalena Wallhoff: Kann die Schweiz aus ihrer neutralen Position so etwas wie eine internationale Ordnungsinstanz für die Nutzung von KI werden? Ihre Hypothese: Die Schweizer sollten sich ihrer Stärke und Kompetenz bewusst sein. Ähnlich wie andere globale Wertegemeinschaften (Genfer Konvention, Internationales Komitee vom Roten Kreuz) ihren Ursprung in der Schweiz haben, könnte die Schweiz auch eine zentrale Rolle zum Umgang mit KI einnehmen. Ihre Überzeugung: Es benötigt weniger starre Regulation als einen intensiven Dialog in einem international besetzten Gremium, welches die Schweiz z. B. in einem Global Center for AI konstituieren könnte.

Sehr interessant war der geopolitische Diskurs in Bezug auf die globale Vernetzung der „KI-Wirtschaft“. Hardware und Software, Forschungskapazitäten und Rechenzentren, das Zusammenspiel bei der Entwicklung von OpenSource – kein Player agiert hier autark, sondern im globalen Netz von Abhängigkeiten. Da schwingt eine gewisse Hoffnung mit, dass dies stabilisierende Wirkung in Zeiten globaler Krisen zeigt.

Im Schlusspodium wurde vor allem immer wieder der Mensch betont. Kaum ein Satz ohne das Wort „Mensch“. Aber ich konnte den Eindruck nicht verdrängen, dass diese Betonung auch so etwas wie ein „Fluchtgedanke“ ist. Wir flüchten uns in der Diskussion auf eine scheinbar sichere Position. Denn wenn wir das Postulat aufgeben, dass der Mensch weiterhin in zentraler Position steht, müssen wir uns einer unangenehmen Zukunft stellen. Wir müssen am Menschen festhalten, um ein gutes Gefühl zu haben, um uns eine gewisse Komfortzone in der fortschreitenden Welt der KI zu erhalten.

In unserer Wahrnehmung und bei der Geschwindigkeit der Entwicklung überholen uns die Einsatzbereiche von KI bereits in einem Maße, dass wir gut daran täten, sachlich mit der (aus meiner Sicht realistischen) Situation umzugehen, dass der Mensch eben doch nicht mehr die zentrale Rolle in Entscheidungsprozessen einnehmen wird. Vielleicht ist dies auch gar nicht bedenklich, wenn wir den Maschinen dabei nicht gleichzeitig unsere menschlichen Attribute zuordnen.

Das Thema werden wir in einem nächsten Blog mit Remo Reginold vertiefen.

Last but not least: Die Sicht des Schriftstellers

In der abschließenden Session teilte Martin Dean, ein bekannter Schweizer Schriftsteller, seine Gedanken zu KI und Kunst, insbesondere der literarischen Kunst. Für ihn steht KI auch für „Künstlerische“ Intelligenz. Dean erzählt in seinem aktuellen Roman „Tabak und Schokolade“ übrigens über Herkunft und Identität.

Nun ist vieles, was wir im Kontext der KI in der Sprache gebrauchen, nicht real, nicht greifbar – und in der Begriffsbildung auch nicht präzise. Wir übertragen biologische Synapsen auf Verschaltungen der Algorithmen, sprechen dabei von neuronalen Netzen. Letztlich nutzen wir Metaphern, um den technisch komplexen Dingen ein „Gesicht“ zu geben. Dadurch entsteht schnell der vermenschlichte Eindruck von KI – eine differenzierte Sprache fehlt. Sogar halluzinieren kann eine KI.

So bezeichnet er die Digitalisierung auch als narratives Zeitalter, in dem Geschichten erfunden und erzählt werden, um den Technologien („Maschinen“) ein Ebenbild in der Sprache und damit unserer Erfahrungswelt zu geben.

Für Dean ist die bewusste, durch Emotionen ausgelöste Nutzung von Metaphern und Ironie in hohem Maß ein Zeichen von Kreativität in der Sprache. Und hier fühlt sich der Schriftsteller Martin Dean den LLMs doch noch ein gutes Stück überlegen.

Take-away

Und vor allem habe ich eins von den Schweizern mitgenommen: Schnelligkeit ist wichtig, Qualität entscheidend, und es benötigt ein gehörige Portion Selbstbewusstsein gegenüber europäischer Regulation und einem amerikanisch dominierten Markt.

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