Ein Projekt, verkleidet als Chance
Seit der Einführung von $LIBRA am 14. Februar 2025 auf der Solana-Blockchain – ausgerechnet am Valentinstag, einem Tag der Liebe, aber auch der naiven Hingabe an leere Versprechungen – wird unermüdlich behauptet, es handle sich um eine Memecoin, vergleichbar mit Dogecoin oder Pepe. Doch lassen wir uns nicht täuschen: $LIBRA ist keine Memecoin.
Es wurde nicht als bloßer Community-Token oder Internetwitz ins Leben gerufen. Vielmehr wurde es als Finanzierungsinstrument für kleine Unternehmen und Startups in Argentinien präsentiert – mit dem Versprechen, wirtschaftliches Wachstum zu fördern. Kein Geringerer als Präsident Javier Milei bewarb es am selben 14. Februar, gegen 19:00 Uhr argentinische Zeit, persönlich auf seiner X-Seite und bezeichnete es als alternative Finanzierungsmöglichkeit in einem Land, in dem der Zugang zu Krediten nahezu unmöglich ist.

Übersetzung: „Das liberale Argentinien wächst!!! Ziel dieses privaten Projekts ist es, das Wachstum der argentinischen Wirtschaft durch die Finanzierung kleiner Unternehmen und unternehmerischer Vorhaben anzukurbeln. Die Welt möchte in Argentinien investieren.“
Eine klare Botschaft mit einem expliziten Ziel – ohne Raum für Missverständnisse. Und die Botschaft wirkte: Dank der Werbung des Präsidenten für den Token $LIBRA erreichte dieser innerhalb weniger Stunden eine Marktkapitalisierung von 4,6 Milliarden US-Dollar.
Doch dann kam der Absturz
Der Wert von $LIBRA fiel ebenso rasch wie er gestiegen war. Es wird vermutet, dass die Gründer von $LIBRA etwa 70 % der Token besaßen und diese beim Höchststand verkauften, wodurch sie rund 87 Millionen US-Dollar erzielten. Dieses Vorgehen wird als „Rug Pull“ bezeichnet, eine Form des Betrugs, bei der Entwickler nach einem plötzlichen Wertanstieg ihre Anteile verkaufen und den Markt verlassen, was den Wert der Kryptowährung drastisch sinken lässt.
Zumindest der Kursverfall ist eindeutig belegt: Innerhalb weniger Stunden war der Token-Kurs auf null. Milei distanzierte sich umgehend. Er habe $LIBRA nicht beworben, sondern nur verbreitet, erklärte er. Jedoch kann man das Teilen des Smart Contracts in seinem Post durchaus als direkte Einladung zur Teilnahme interpretieren. In der Marketingwelt nennt man so etwas einen Call to Action (CTA).
Javier Milei just DESTROYED the memecoin market:
— The Kobeissi Letter (@KobeissiLetter) February 15, 2025
Hours ago, Argentinian President Milei launched a memecoin, $LIBRA, for "the growth of their economy."
Within 5 hours, over -$4.4 BILLION of market cap was erased.
Is this the biggest rug pull in history?
(a thread) pic.twitter.com/t4T69r851d
Zudem muss man davon ausgehen, dass die Worte eines Präsidenten – und nicht irgendeines, sondern eines, der sich selbst als herausragenden Ökonomen bezeichnet – erheblichen Einfluss auf die Märkte haben. Allerdings hielt er es offensichtlich nicht für nötig, die Hintergründe des Projekts zu überprüfen. Denn wie sich herausstellte, wurde die Website des Projekts an eben jenem 14. Februar erstellt, und die hinterlegte E-Mail-Adresse war lediglich ein einfaches Google-Konto. Das Vorgehen lässt sich mit einem Immobilienmakler vergleichen, der ein Gebäude zum Kauf empfiehlt, ohne zu prüfen, ob auf dem Grundstück nicht doch nur ein Zirkuszelt steht.
Ein Casino mit gezinkten Karten
Der Vergleich mit einem Casino hinkt – denn wer in einem Casino spielt, weiß zumindest, dass die Wahrscheinlichkeiten gegen ihn stehen, hat aber trotzdem eine Chance zu gewinnen. Hier war das nicht der Fall. Dies war kein Casino, sondern eine manipulierte Lotterie, bei der die Würfel gezinkt, die Karten vorher verteilt und der Croupier mit den ersten Spielern unter einer Decke steckte.
Kleinanleger hatten von Anfang an keine realistische Chance. Das ganze System war darauf ausgelegt, dass die Insider – jene, die früh einstiegen – zum perfekten Zeitpunkt aussteigen konnten, während der Rest mit den Verlusten zurückblieb.
Das ist nicht mit dem Fall der Trump-Memecoin zu vergleichen, bei der ebenfalls viele Anleger Geld verloren. Der entscheidende Unterschied? Die Trump-Memecoin wurde nie als ernsthaftes Projekt mit wirtschaftlichem Zweck beworben. Niemand verkaufte sie als Instrument zur Förderung von Wirtschaft und Investitionen. $LIBRA hingegen schon. Und genau hier wurden die Anleger an der Nase herumgeführt.
Der Vertrauensverlust
Die Reaktion des Marktes kam sofort: Nach Mileis Tweet erreichte der Token in wenigen Stunden eine Marktkapitalisierung von über 4 Milliarden US-Dollar, nur um anschließend innerhalb von vier Stunden um 95 % zu fallen. Laut Blockchain-Analysen konnten 34 privilegierte Wallets in dieser Zeit über 120 Millionen US-Dollar an Gewinnen mitnehmen – während der Rest mit wertlosen Token zurückblieb.
Und Milei? Erst löschte er seinen Post. Anschließend versuchte er, das Ganze mit einer kindischen Verteidigung abzutun: Die Leute seien für ihre Investitionsentscheidungen selbst verantwortlich.
Als ob es sich hier um eine legitime Investition gehandelt hätte und nicht um einen manipulierten Marktmechanismus mit impliziter Rückendeckung der Regierung. Mileis libertäre Rhetorik erlaubt ihm nicht, das zuzugeben. Doch die Realität ist offensichtlich: Das war kein Beispiel eines freien Marktes, das war eine geplante Operation mit klarem Ziel.
Ein Scherbenhaufen für Argentinien und den Krypto Sektor
Der Schaden ist angerichtet. Nicht nur für die Investoren, sondern auch für Mileis Regierung, deren Glaubwürdigkeit massiv gelitten hat. Argentinien hätte ein Leuchtturm der Krypto-Innovation werden können – stattdessen muss es sich nun mit der Tatsache auseinandersetzen, dass sein Präsident ein gescheitertes Projekt beworben hat, ohne die geringste Sorgfalt walten zu lassen.
Das Problem ist nicht nur der finanzielle Verlust. Das eigentliche Problem ist der Vertrauensbruch.
Das Image der Krypto Branche, die ohnehin mit Skepsis zu kämpfen hat, wurde durch diesen Skandal beschädigt. Ein Ökosystem, das noch immer um Akzeptanz ringt, muss sich nun einer weiteren Welle von Misstrauen stellen.
Fazit
Während die Justiz ermittelt, ist eine Sache bereits klar: Was als Finanzierungsinstrument verkauft wurde, entpuppte sich als Marktmanipulation – mit verheerenden Folgen für die Betroffenen und die gesamte Krypto Branche.
Dieses Ereignis lehrt uns eine wichtige Lektion: Egal, wie einflussreich eine Person ist, die ein Projekt bewirbt – wir müssen es immer kritisch hinterfragen, bevor wir investieren. Emotionen und große Versprechen dürfen niemals eine fundierte Analyse ersetzen.
Denn in der Welt der Kryptowährungen, wo Spekulation allgegenwärtig ist, kann nur eine Regel schützen: Vorsicht ist besser als Nachsicht.